Zum Wesen der Bilder


Auf den ersten flüchtigen Blick steht der Betrachter der Aquarelle Ernst Reinholds einer fremden, fast abweisenden Welt gegenüber. Wild, ungezügelte Bewegung, oft bis zu grimassenhaften Verzerrung reichende Formen und ebenso expressiv übersteigerte Farben lösen zunächst eher den Eindruck einer bedrängenden vehementen Unruhe aus und scheinen den Zugang fast zu verwehren.

ADSC000991Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser schockierenden Wirkung lässt dieses flammende scheinbare Chaos nicht mehr los und aus dem furiosen Wirbel lösen sich Farbtöne und Linien, um sich zu bannenden Gestalten zu verdichten. Dieses Aufgebot ist jedoch nur sehr bedingt mit den aus der Beobachtung der realen Umwelt gewonnen Erfahrungen und Maßstäben zu erfassen. Es entzieht sich vielmehr immer wieder der konkreten Einordnung und hinterlässt dennoch nachhaltige Spuren, springt mit geradezu dämonischer Besessenheit an, verkrallt sich – um sich ebenso wesenlos gleitend dem Zugriff zu entwinden.

Was bleibt, ist der Eindruck eines Spannungsfeldes, das von diametral entgegengesetzten Faktoren bestimmt wird. So stehen Dynamik und Bewegtheit einer zu statischen Fixpunkten gerinnenden Verfestigung gegenüber, wie von Auftrag und Tönung her kraftvolle Farben ebenso leicht verfließen und sich in ihrer Konsistenz auflösen. Diese Gegensätze schließen sich dabei keineswegs aus, sondern sie durchdringen und ergänzen sich.

Künstlerische Gestaltungs- und Ausdrucksform wird hier in sprechender Weise zum Spiegelbild dessen, der sie schuf. Ernst Reinhold, der in München in der Falkenberg-Schauspielschule und beim Theater seine ersten Versuche zur Selbstverwirklichung unternahm, hat dort auf jeden Fall den Blick für die Geschehnisse „hinter den Kulissen“ mitbekommen, wie ihm die Welt von Film und Fotografie das Verständnis für den flüchtigen Moment sowie für die verfließende Vergänglichkeit der Zeit und der Dinge geöffnet hat. So ist es sicher auch nicht zufällig, dass der spätere Hochleistungssportler das Segeln wählte – dessen grundlegende Elemente der Hauch des Windes und das fließende Wasser sind. Das eigene Standvermögen steht dabei der Kraft der Naturelemente genauso gegenüber, wie das scharfe Beobachtungsvermögen und das kraftvolle Zupacken zur Situationsbewältigung im Hier und Heute erforderlich sind. Doch verfügt er am anderen Ende nicht minder über die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Überzeitlichen und damit zu einer auf das tiefere Wesen gerichteten Schau.

Gerade dieses Moment des Schauens spielt im Schaffen Reinholds eine auffallend dominierende Rolle. Dazu gehört auch, dass er im Wesentlichen den Menschen zum Vorwurf wählt und dort wiederum den Kopf zum gestalterischen Ausgangspunkt und Zentrum nimmt. Freilich ist es meistens nicht die an der Naturtreue hängende Portraitwiedergabe, die ihn beschäftig – wiewohl er deren anatomische Grundvoraussetzungen beherrscht. Aber selbst bei seinen nach dem Modell gestalteten Köpfen fällt die in der Regel immer prägnant herausgearbeitete bannende Betonung der Augen auf. Nicht die Portraithaftigkeit an sich interessiert deshalb bei ihm oder bleibt im Gedächtnis, sondern der Blick der Dargestellten.

FDSC00046Umgekehrt erweist er sich selbst nicht nur als scharfer, präziser Beobachter, sondern ebenfalls mehr noch als ein Schauender, der über die vordergründige Abbildung und die exakte Wiedergabe hinausgehend meist Wesenszustände zu verdeutlichen sucht, für die einzelne bestimmte Menschen offensichtlich nur in ihrer Trägerfunktion verstanden werden. Demensprechend treten die konkreten Formen in den Hintergrund, so dass Form und Farbe eher eine gewisse Grundstimmung aufweisen, doch erhält diese ihre eigentliche Bestätigung erst durch die aus der tieferen Schau erwachsenen Gestaltung von Auge und Blick.

Flüchtige Schemen, bei denen sich die Augen gelegentlich zu verselbständigen scheinen, wechseln somit zwar dem realen Sein entrückten, aber dennoch greifbaren Kopfbildern, deren Blicke von der schreckvoll oder fragend weitaufgerissenen Augenstellung über das bedrohliche Bohren bis zum verdeckten oder gar wesenlos stumpfen Ausdruck reichen. Gestalten aus einer Zwischenwelt werden gebannt, die sich zwischen dem Verdichten und Zerfließen von Träumen und einer die Fassade abschirmenden Scheinexistenz von Masken bewegen.

Ein Panoptikum tut sich vor dem Betrachter auf, gespenstisch starr verharrend oder auch in gauklerischer Bewegung begriffen, das in den Bildern und Zeichnungen von James Ensor, Emil Nolde oder Alfred Kubin seine Bestätigung findet. Kunst wird hier in ihrer Vielschichtigkeit deutlich, erweist sich über den formal-ästhetischen Gehalt hinaus als eine Möglichkeit der Weltsicht und der bildhaften Verdeutlichung von Welterfahrung. Sie wird zugleich zum Wagnis und Abenteurer – doch interessant und aufschlussreich für den, der sich ihr aufgeschlossen und vorurteilsfrei nähert und bereit ist, im Betrachten und Erfühlen einen ähnlichen schöpferisch-tätigen Akt zu vollziehen wie der Künstler, der ihr Form und Gestalt gegeben hat.

Friedbert Ficker


Über Ernst Reinhold

Reinhold absolvierte ein Studium an der Schauspielschule Otto-Falckenberg in München. Ab 1957 war Ernst Reinhold als Schauspieler unter anderem an der Seite von Heinz Rühmann (Der Pauker) und Heinz Erhardt (Vater, Mutter und neun Kinder) zu sehen. Nach Beendigung seiner Laufbahn als Schauspieler, war er von 1960 bis 1963 Maler in Stockholm. Er arbeitet 1969 als Regieassistent mit Harry Buckwitz an dem Stück von Max Frisch Biografie und der Welturaufführung des Vietnam Diskurs von Peter Weiss. Er besitzt seit 1981 ein Atelier in München. Seine Bilder wurden in verschiedenen Städten Deutschlands und in Sydney ausgestellt.